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Lesung: TiG 7, Einhart Klucke und Hans Reffert rücken dem Selbstmord im Café Prag gefährlich nahe

Weg zum steilen Sturz

Von unserem Mitarbeiter Bernd Mand

Eigentlich, so Linda King, sei der Selbstmord doch eine Frechheit. Nur ein Weg, um auch mal in die Zeitung zu kommen und die Leute zu schockieren. Nein, Mitleid gibt es von ihrer Seite keins. Während man in Gedanken noch die vorgebrachten Argumente gegeneinander abwägt, liest Einhart Klucke allerdings schon steil der Klimax des Eröffnungstextes „Selbstmörder” der klugen und beinahe zärtlichen Lesung „Last Exit Suicide” im Mannheimer Café Prag entgegen. Da sollte jetzt kein falsches Verdachtsmoment entstehen, denn er macht das in aller Bedachtheit und mit fester Rückenstützung von Hans Reffert, der an den elektrischen Gitarrensaiten für ein dicht gewebtes Fangnetz sorgt.

Angespannter Nerv der Zeit

Unter Leitung von Einhart Klucke entstand zusammen mit Daniela Cohrs und Tom Hartmann ein knapp siebzig Minuten langer Abend über den letzten Akt der strikten Selbstbestimmung: den Freitod. Historisch reichen die ausgewählten Texte, die allesamt der Moderne zuzuordnen sind, nicht weit zurück und treffen vielleicht deshalb ziemlich direkt den angespannten Nerv der Zeit. Ausgehend von David Foster Wallace' Roman „Unendlicher Spaß”, dessen Beschreibung über die Suizidpatientin Kate Gombard auf der Station West 2 aus Daniela Cohrs Mund mit sachlicher Sanftheit den Witz aus der Tragödie kitzelt und wohlig akkurat verhandelt, beschreibt die Lesung von stetig wechselnden Standpunkten den Weg zum selbstgewählten letzten Abschied.

klucke-reffertNüchterne Sachlichkeit: Einhart Klucke (li.), Hans Reffert (re.) und das Enselble des TiG 7 begaben sich auf literarische Spurensuche. Bilder: TRÖSTER/ZG  

Albert Camus, Uwe Timm und Jaques Rigaut kommen dabei zu Wort. Nüchtern und analytisch präsentieren sich die meisten Blicke auf den Selbstmord, die Romantisierung hat in der neuen Zeit scheinbar wenig Platz gefunden, wenn auch Tom Hartmann in verletzlich selbstbewusstem Amerikanisch der Lyrikerin Sylvia Plath mit „Lady Lazarus” einen leisen Sonnenuntergang unterzuschieben weiß.

Hans Reffert begleitet die Texte in fibelnden Versatzstücken und erzählt in seinen Songs vier eigene Geschichten vom finalen Handanlegen. Wie beim abschließenden „Ode To Billy Joe” von Bobby Gentry, das entgegen der populären Blue Mountain-Version von Dolly Parton einfühlsam und sich leise verbeugend von Billy Joes Brückensturz berichtet. Und ist es auch hier die nüchterne Sachlichkeit, die einem berückend und eindringlich verdeutlicht, wie steil der Weg zum Sturz sein kann. Den Ensemble-Mitgliedern des TiG 7 ist ein großer Abend gelungen, der sich leise und verdammt ehrlich einer großen Tragik nähert.

Mannheimer Morgen
15. Januar 2010